Plädoyer für Medienkunde

Die sogenannten "Reality-Formate" auf RTL gehorchen detaillierten Drehbüchern. Die Jugendlichen aber nehmen sie für bare Münze. Facebook lebt von Werbung und Handel mit Cookies - also persönlichen Daten. Die meisten Kids und auch ihre Eltern wissen davon aber nix. Was tut not? Ausbildung! Mediennutzung ist heute kompliziert und will gelernt sein.

 

Was wird nicht alles geschrieben zum Thema Datenschutz. Was wird nicht alles gemunkelt zu Reality-Formaten. Und doch: Wenn man den "Normaluser" anschaut, dann hat er offenbar keine Ahnung davon, wie Medien funktionieren. Das kann fatale Folgen haben, finde ich.

 

RTL: Die Welt ist gar nicht so schlimm...

Die Kinder-Erzieherin Saalfrank wirft das Handtuch. Sie will nicht mehr für RTL bei schwierigen Familien vermitteln. Denn sie werde in ihrer pädagogischen Arbeit durch strikte Drehbücher behindert. Das konnten wir bereits lesen und das hat uns aufmerksame TV-Konsumenten ja auch nicht wirklich erstaunt.

 

Dass es Familien mit Problemen gibt, ist ja klar. Dass sich so viele Probleme an einem Ort sammeln und dann auch noch so kameragerecht präsentiert werden, ist ja wirklich sehr unwahrscheinlich.

 

Schockiert hat mich nun aber die Meldung, dass offenbar ein grosser Teil des jungen TV-Publikums diese ganzen tristen Sendungen für bare Münze nimmt (vgl. spiegel.de)

 

Man kann die Schuld dem Fernsehsender RTL in die Schuhe schieben. Ist ja unfair, so zu tun, als wäre das die Realität. Man kann aber auch sagen, das Publikum nehme sehr unkritisch teil an diesen Sendungen. Was tun? Man müsste wohl dem Publikum mal sagen, dass TV nicht zwingend gleich Realität ist. Dass "Reality" eben nicht "Abbildung" bedeutet, dass eine Kamera keinen 360-Grad-Winkel erfassen kann. Und so weiter...

spiegel.de über Jugendliche, die Saalfrank und Co. für bare Münze nehmen
spiegel.de über Jugendliche, die Saalfrank und Co. für bare Münze nehmen

 

Facebook: Datenschutz-Falle?

Meine Erfahrung als Medienkunde-Lehrer zeigt: Die Jugendlichen wissen sehr wohl, dass man auf Facebook nicht tun und lassen kann, was man will. Fotos von der Sexparty oder dem Alkoholexzess stellt keiner mehr öffentlich ins Netzwerk. Könnte ja mal ein potentieller Arbeitgeber vorbeischauen - das ist den Jugendlichen bewusst.

 

Interessant aber dann die Antwort auf meine Frage: "Wissen Sie eigentlich, womit Facebook Geld verdient?". Es kommt: Gar nix. Dann meine Erklärungen über Cookies und Handel mit persönlichen Daten zwecks Personalisierung von Werbeangeboten - und grosses Staunen im Klassenzimmer.

 

Auch hier: Aufklärung tut offenbar not. Gerade bei Facebook tummeln sich auch viele ältere Menschen, die definitiv als "digital immigrants" gelten müssen - als Leute, die mit diesen neuen Medien nicht wirklich aufgewachsen sind, sondern sich von den neuen Möglichkeiten oft auf ziemlich unvorsichtige Art und Weise faszinieren lassen.

 

Transparenz beginnt mit Bildung

Es braucht keinen Datenschutz - sagt Christian Heller in seinem unterhaltsamen Buch "Post-Privacy - prima leben ohne Privatsphäre". Die Bedingung dazu sei aber maximale Transparenz. Konkret und etwas zugespitzt: Facebook soll unsere Daten doch klauen - wenn Facebook uns sagt, wie das genau passiert, dann brauchen wir davor keine Angst mehr zu haben. Wir müssen wir nur noch damit leben lernen.

 

Genau hier stellt sich aber die Gretchenfrage: Wie kann man damit umzugehen lernen? Ich behaupte, dass das nur geht, wenn man den Menschen diesen Umgang lehrt. Wer das tun soll und wie - das ist allerdings eine andere und viel schwieriger zu beantwortende Frage.

 

In der Schule muss sicher noch einiges passieren: Es kann nicht sein, dass Lehrer weniger von Medien verstehen als ihre Schüler. Aber wenn man der Zielgruppe Frauen 50+ Facebook beibringen soll - dann muss man wohl irgendwo bei den Volkshochschulen ansetzen oder so...

Buchtipp: Post-Privacy von Christian Heller im Beck Verlag.
Buchtipp: Post-Privacy von Christian Heller im Beck Verlag.

 

Werbung in eigener Sache

Und weil ich keine gesamtheitliche Lösung anbieten kann, biete ich halt eine etwas egoistische Lösung an. Lassen Sie sich (als Lehrer, Volkshochschul-Organisatorin, Seniorenvereinspräsident, Jugendhaus-Leiterin etc.) helfen: Von Menschen, die sich professionell mit Neuen Medien befassen. Es gibt viele davon - ich wäre einer :-)

 

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