Früher war alles besser, nur nicht im Journalismus

Kulturpessimisten aller Couleur läuten in unzähligen Studien und Streitschriften das Ende des Qualitätsjournalismus ein. Medienwandel, wegbrechende Werbeeinnahmen und fehlende Innovationskraft der Medienhäuser lässt die personellen Ressourcen in Redaktionen schrumpfen. Das stimmt. Nur: Vieles ist trotzdem besser heute als noch vor ein paar Jahren und Jahrzehnten. Und das darf man auch mal wieder schreiben.

 

Der Politikwissenschafter, ORF2-Nachrichtensprecher und Twitterer Armin Wolf hat vor kurzem ein aus meiner Sicht ziemlich wahres Wort verbreitet:

Es gab noch nie so viel guten Journalismus Twitter Armin Wolf

Vor allem die erste Hälfte dieser 140 Zeichen haben mich zu folgenden Gedanken inspiriert. Über den journalistischen Trash wird ausreichend geschrieben überall - da darf man auch mal wieder die positiven Seiten ins Licht rücken.

 

Wenn Kulturpessimisten darüber schreiben, was heute immer schlechter wird, dann schreibe ich jetzt einmal darüber, was früher noch viel schlechter war. Und da gibt es im Journalismus doch einiges zu berichten.

 

Sprachrohr für Parteien und Bauchgefühle

Natürlich gibt es auch heute noch immer wieder Versuche von Politik, Wirtschaft oder Interessenverbänden, sich in die redaktionelle Arbeit einzumischen. Die Diskussionen um die Basler Zeitung zeigen dies exemplarisch. Immerhin lösen solche Versuche aber Diskussionen und Widerstand aus.

 

Das war vor einigen Jahren noch gar nicht der Fall: Denn noch vor wenigen Jahrzehnten waren klare politische Profile und Verbandelungen bei unserer Presse Programm. Klar: Es gab einige Zeitungen mehr als heute. Wer aber nur eine Zeitung abonniert hatte (und das dürfte doch die Mehrheit der Leute gewesen sein), der war zwangsläufig zu einer Art medialem Tunnel-Blick verurteilt. Alles, was er zu lesen bekam, war durch ein klar definiertes politisches Weltbild geprägt. Die Einseitigkeit der Information übertraf damit wohl die heute viel zitierte «filter bubble» bei Google, Facebook und Co. um ein Vielfaches. Da sind mir die wenigen heutigen Forumszeitungen dann doch lieber.

 

Ebenfalls beinahe undenkbar heute sind die früher noch ziemlich geläufigen Doppel-Mandate. Ältere Journalisten-Kollegen erzählen mir von Zeiten, wo Kantonsparlamentarier die Parlamentsberichterstattung für die Tageszeitung gleich selber erledigt haben. Heute kann sich in der Schweiz nur die politisch klar positionierte Weltwoche ein solches Doppelmandat leisten. Mir persönlich ist das auch lieber so: Politiker als Journalisten und Journalisten als Politiker sind in meinem Journalisten-Ethos ein Ding der Unmöglichkeit.

 

Es fehle die Zeit für fundierte Recherche, monieren viele Kritiker heute ebenfalls. Ein äusserst attraktives Beispiel dafür, dass das früher kaum besser war, liefert der in die Schweizer Kriminalgeschichte eingegangene Postraub von Deubelbeiss und Schürmann in Reinach (AG). Dieser Fall ist in meiner Heimatregion bis heute unvergessen - und er geschah in den 50er-Jahren.

 

Die äusserst brutalen Posträuber (sie verschossen über 100 Patronen) passten nicht ins Schweizer Selbstverständnis der damaligen Zeit. Die Polizei vermutete deshalb (wohl mehr instinktiv) eine ausländische Täterschaft. Und im wunderbaren Buch zur Geschichte werden Ausschnitte aus der Tagespresse zitiert, die ohne jegliches Indiz «italienische Banden» für die Tat verantwortlich machen. Verbrechen im «Chicago-Stil» können brave Schweizer nicht verüben, so urteilten die Journalisten. Und zwar aus dem hohlen Bauch heraus. Das Publikum wird zufrieden genickt haben ob der Bestätigung seiner eigenen Vorurteile.

 

Nicht einmal die für ihren fehlenden Anstand kritisierte Boulevard-Presse muss sich aus heutiger Sicht schämen: Nach der Verhaftung der beiden Räuber schreibt der nicht als unseriös bekannte Tages-Anzeiger, Deubelbeiss sehe aus «wie ein nichtsnutziger Tanzbodenschwengel». Anstand und Distanz klingen anders.

 

Gesellschaft und Journalisten haben sich entwickelt

Diese willkürliche, weil mir bekannte Auswahl an historischen Presse-Inhalten zeigt doch, dass sich der Journalismus in den letzten Jahren tatsächlich stark entwickelt hat. In eine aus meiner Sicht durchaus richtige Richtung. Man könnte jetzt einwenden, dass sich auch die Gesellschaft in eine richtige Richtung entwickelt hat, der Journalismus quasi nur das Abbild dessen sei. Aber das würde umgekehrt ja nicht weniger Gültigkeit haben. Schwindende Qualität im Journalismus würde dann wohl schwindende Intelligenz der Gesellschaft bedeuten oder so. Vor solchen Pauschalurteilen würden sich die meisten Medienkritiker wohl hüten. 

 

Natürlich gibt es Gefahren, die einige Errungenschaften des Journalismus bedrohen. Der Kostendruck in den Verlagen und Medienhäusern dünnt Redaktionen aus. Online-Redaktionen sind noch unterdotiert, Zeitungsredaktionen werden langsam dezimiert. Werbeeinnahmen im Print brechen weg, können aber online noch nicht aufgefangen werden. Agenturtexte werden unter Zeitdruck inklusive Rechtschreibefehler kopiert und publiziert, Auflagen und Quoten werden auch mal mit nur oberflächlich recherchierten Pseudo-Skandalen in die Höhe getrieben. Die Verlage werden grösser, aber weniger. Sie wandeln sich zum Teil zu Unterhaltungskonzernen und beeinflussen dann vielleicht den redaktionellen Teil ihrer Produkte aus monetären Gründen. Und so weiter.

 

Aber wir dürfen dabei auch die positiven Entwicklungen nicht vergessen: Die Medienvielfalt ist trotz Konzentration in der Medienbranche de facto gestiegen. Mit Blogs und sozialen Medien werden Bürger zu Journalisten, die Meinungsvielfalt ist zumindest für interessierte Mediennutzer vorhanden. Gleichzeitig ist auch das Interesse an den Medien gestiegen, wenn man die Nutzungsdauer studiert: Es gab kaum je eine Zeit, in der die Menschen so viel Zeit für Medienkonsum aufgewendet haben.

 

Unter diesen Umständen bin ich davon überzeugt, dass die Konsumentinnen und Konsumenten es nicht zulassen werden, dass die Medienqualität ins Bodenlose sinkt. Und die Werbebranche wird sich über kurz oder lang wieder für seriöse, glaubwürdige Medienprodukte interessieren und darin investieren.

 

Auch Pessimisten dürfen hoffen

Es braucht Medienkritik, es braucht wachsame Augen, die uns Journalisten und unseren Chefs auf die Finger schauen. Aber der totale Pessimismus einiger Akteure ist übertrieben.

 

Erstens: Früher war nicht alles besser, im Gegenteil.

Zweitens: Aller widrigen Umstände zum Trotz wird auch heute sehr viel sehr guter Journalismus gemacht. Wer ihn sucht, der wird ihn finden.

Und drittens: Man darf mit gutem Grund den Glauben daran behalten, dass es bald sogar noch besser wird als heute.

Die Unsicherheit über den aktuellen Wandel wird sich legen, und dann hat auch Innovation wieder Platz.

 

Disclaimer

Der Autor arbeitet als Radio- und Onlinejournalist für Schweizer Radio und Fernsehen (SRF). Er ist stv. Leiter einer Regionalredaktion und Projektleiter im Bereich Online-Entwicklung. Und er liebt seinen Job. Ist aber trotzdem offen für Kommentare und andere Meinungen.

 

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