Aderlass im Aargau: Ein Radiosender baut um

On Air: Der private Aargauer Radiosender hat immer weniger Personal.
(c) Fotolia, Bits and Splits

Die AZ Medien organisieren ihren Radiobereich neu. So lautete in etwa der Titel der offiziellen Mitteilung des Medienkonzerns Ende September. Dahinter steht ein Stellenabbau in der Redaktion von Radio Argovia.

Interessiert hat diese Meldung praktisch kein anderes Medium. Ich finde das persönlich sehr schade. Man sollte auch über die aktuellen und vielleicht bevorstehenden Veränderungen in der regionalen Radio-Landschaft diskutieren.

Ein Abbau von 200 Stellenprozenten bei einem Medienkonzern mit Hunderten von Angestellten ist natürlich keine ausufernde Berichterstattung in anderen Medien wert. Immerhin gibt es Industriebetriebe, welche Stellen im Dutzend streichen. Die Aufmerksamkeit liegt bei solchen Meldungen.

 

Aber wer die Hintergründe etwas versteht, der entdeckt dann doch eine gewisse Brisanz: Beim Aargauer Privatradio Argovia werden 1,6 Redaktorenstellen gestrichen. Konkret: Drei Mitarbeitende mit einem Pensum von insgesamt 160 Stellenprozent haben die Kündigung erhalten.

 


Digital Killed The Radio Star?

Mir ist bewusst, dass die digitale Transformation auch vor dem Radio keinen Halt macht. Aber es bleibt festzuhalten, dass die Radionutzung aktuell immer noch sehr hoch ist - es gehen zwar Hörerinnen und Hörer verloren, aber sehr langsam (vgl. dazu Mediapulse-Statistik 1. Semester 2017), die Netto-Reichweite aller Sender in der deutschen Schweiz ist in den zwei Jahren nur um rund ein Prozent gesunken. Zudem profitieren Radiosender auch von neuen Möglichkeiten - zum Beispiel der zeitversetzten Verbreitung von Inhalten (Streaming, Podcast) oder dem neuen Verbreitungsstandard DAB+.


 

Dazu wird mindestens ein/e Redaktor/in (interne Quellen sprechen von 2 Stellen, die Kommunikationsstelle der AZ Medien spricht von einer) versetzt. Nach Zürich, zu Radio 24. Die Idee dahinter: Nationale und internationale Nachrichten kommen künftig aus dem Zürcher Radiostudio - in Aarau werden nur noch lokale Informationen aufbereitet. Ein ähnliches System baut der Tamedia-Konzern aktuell für seine verschiedenen regionalen

Zeitungstitel auf.

 

Leistungsabbau oder Stärkung durch Synergien?

Die Folgen für den Medienplatz Aargau bleiben abzuwarten. Noch gibt es gemäss Kommunikationsstelle der AZ Medien kein publizistisches Konzept. Der Konzern spricht allerdings in seiner Medienmitteilung davon, dass man mit dem Umbau die regionale Berichterstattung stärken wolle, weil sich das Personal in Aarau künftig eben auf regionale Themen fokussieren könne. Das klingt nach einem vernünftigen Plan aus meiner Sicht, falls er denn auch konsequent umgesetzt wird.

 

Medienmitteilung vom 27.9.2017 (Printscreen azmedien.ch)
Medienmitteilung vom 27.9.2017 (Printscreen azmedien.ch)

 

Einige Zweifel bleiben bei mir dennoch bestehen. Denn - wenn man den internen Quellen glaubt - der Stellenwert der Information bzw. Redaktion im Hause Argovia war auch schon höher. Publikumsbefragungen zeigen offenbar (und das klingt durchaus plausibel), dass sich die Hörerschaft vor allem am Musikprogramm und an Moderator/innen der Morgenshow zum Beispiel erfreut - und weniger Wert legt auf qualitativ hochwertige und ausführliche Berichterstattung aus der Aargauer Politik und Wirtschaft. Im Gegenteil: Der Trend bei praktisch allen Radiostationen geht hin zu immer kürzeren Wortbeiträgen. Weniger Zeit, weniger Inhalt.

 

Äusserungen von mehreren ehemaligen Mitarbeitenden lassen darauf schliessen, dass der Privatsender (wie andere auch) deshalb seinen Fokus nicht auf diesen Bereich des Radioprogramms legt. Denn es gilt - stark verkürzt - die Losung: Information ist teuer, aber bringt keine (zusätzlichen) Hörer/innen. Und damit auch keine zusätzlichen Werbeerlöse. Das ist die Marktlogik, sie ist nachvollziehbar aus meiner Sicht.

 

Musik ist «sexy», Information ist teuer

Die Entwicklung ist ja nicht neu. Radio Argovia übernimmt bereits heute zum Teil die Nachrichtenbulletins der Kolleg/innen von Radio 24 aus Zürich. Radio 24 gehört ebenfalls zum Konzern von Verleger Peter Wanner. Und offenbar bestehen weitere Pläne für die Zukunft: «Die neue Organisationsstruktur ist darauf ausgerichtet, das weitere Wachstum des Senderportfolios (...) optimal zu begleiten», heisst es in der Mitteilung der AZ Medien weiter.

 

Klingt ganz danach, als ob sich Verleger Wanner darauf einstellt, dass die bisherig geltende Regelung, dass ein Verlag maximal zwei Radiosender betreiben darf, bald fällt (der Bundesrat hat dies bereits angekündigt). Dann dürfte das Solothurner Radio 32 wieder zurück in die AZ-Familie kommen (die Aktien hält aktuell eine Logistikfirma) und man kann noch mehr Synergien nutzen: Nachrichten zur vollen Stunde aus dem Studio Zürich für das ganze Mittelland, lokale Berichterstattung aus Aarau und Solothurn - in welchem Umfang, das bleibt noch abzuwarten.

 


Der ewige Streit: Moderation und Redaktion

Es geht in diesem Artikel nicht darum, die Unterhaltungsabteilung gegen die Informationsabteilung auszuspielen. Es braucht beide für ein attraktives Radioprogramm - das gilt nicht nur bei Radio Argovia, sondern auch bei Radio SRF.

Ich bin überzeugt, dass selbst bei Radioprogrammen für jüngere Zielgruppen guter Informationsjournalismus integriert werden kann, wenn man diesen formal attraktiv verpackt. Dazu braucht es aber Mittel, Sendeplätze und den Willen der Programmstrategen.


 

Als (Radio-)Journalist von SRF bedaure ich diese Entwicklung insgesamt. Radio 32 und Radio Argovia waren und sind zum Teil noch immer starke Konkurrenten im regionalen Informationsjournalismus. Es gab und gibt einen Kampf um gute Geschichten, Themen, Formate. Die Kolleginnen und Kollegen der privaten Radiosender und die Mitarbeitenden der Regionalredaktion von Radio SRF haben sich immer wieder gegenseitig zu noch mehr Leistung angestachelt.

 

Das tut dem Medienplatz gut. Das fordert Politik und Verwaltung im Kanton und in den Gemeinden heraus - das stellt sicher, dass die «heissen Eisen» thematisiert werden. Das alles droht - so meine Befürchtung - verloren zu gehen, ist meines Erachtens zum Teil bereits verloren gegangen.

 

Monopol und so im Aargau

Die Berichterstattung zu diesem Stellenabbau Ende September bei den AZ Medien lässt einen kleinen Vorgeschmack zu auf das, was kommen könnte. Nationale Medien haben sich für die Meldung natürlich kaum interessiert. Zu lokal die Geschichte, zu klein der Stellenabbau. Lokalzeitungen im Aargau haben das Thema (meines Wissens) auch nicht aufgegriffen - es geht ja um einen regionalen Radiosender ohne direkten Bezug zum Fricktal, Freiamt oder Zurzibiet.

 

Nur eine Redaktion hat recherchiert, hat Fragen gestellt, Präzisierungen verlangt: Die Regionalredaktion von Radio SRF. Und nur diese Redaktion hat on air und online über den Stellenabbau bei einem der wichtigsten und grössten Privatradiosender der Schweiz berichtet. Immerhin: Das Branchenmagazin persoenlich.com hat nach einer kurzen Erstmeldung auch die weitergehende Berichterstattung von SRF noch aufgenommen.

 

SRF nimmt mit seiner Regionalredaktion in meinem Kanton eine wichtige Aufgabe wahr. Wir berichten dann, wenn der einzige private Verlag der Region nicht berichten will oder kann. Wir setzen bewusst auch auf Themen, die von der privaten Konkurrenz ausser Acht gelassen werden. Wir sind in diesem Sinne ein regionaler «Monopolbrecher».

 

Man kann es kurz machen: Ohne die Regionalredaktion von SRF wäre die bereits relativ öde Medienlandschaft im Aargau noch verwaister. Beim Radio wäre die Situation dann so: Es gäbe nur noch einen einzigen regionalen Sender. Einer, der vor allem mit Musik punkten will (oder muss) und nicht mit Journalismus.

 


Disclaimer: Ich, der Autor, bin Leiter der Regionalredaktion Aargau Solothurn von Radio SRF. Dieser Artikel ist meine ganz persönliche Meinung, die ich aus eigenem Antrieb hier publiziert habe. Weil mich das Thema ernsthaft beschäftigt.


Kommentar schreiben

Kommentare: 5
  • #1

    Andres Frey (Samstag, 07 Oktober 2017 17:13)

    Danke, Maurice Velati, für diesen Blog. Unabhängige Berichterstattung ist sehr wichtig, beziehungsweise
    wird immer wichtiger. Nun, zu meinem Anliegen, wie kann den lokalen Sendern Unterstützung geboten werden?, eventuell mit einer technischen Kooperation seitens der SRG?

  • #2

    Maurice Velati (Dienstag, 10 Oktober 2017 18:30)

    Hallo Andres! Vielen Dank für deinen Kommentar und bitte entschuldige die späte Antwort. Ich glaube, die privaten regionalen Sender wären grundsätzlich gar nicht so schlecht aufgestellt wirtschaftlich. Das hört man zumindest aus besser informierten Kreisen. In diesem Sinne ist es wohl vor allem eine Frage des Willens des Verlegers, ob er in Information investiert oder nicht. Zudem erhalten konzessionierte Lokalsender mit Servicepublic-Auftrag auch Gebührengelder aus dem Billag-Topf. Das finde ich richtig und wichtig. Auch für diese Sender ist deshalb die NoBillag-Initiative eine echte Bedrohung - sie wird wohl zu noch weniger Informationsleistung bei einigen Sendern führen.
    Inwiefern technische Kooperationen möglich und sinnvoll sind, kann ich nicht abschliessend beurteilen. Radiojournalismus allerdings verursacht kaum technische Kosten, sondern vor allem Personalkosten. Insofern ist das Kooperationspotential bzw. Sparpotential in diesem Bereich wohl eher gering.
    Herzliche Grüsse
    Maurice

  • #3

    Oliver (Dienstag, 24 Oktober 2017 12:05)

    Man könnte ja auch eine private (Radio-)Konkurrenz im Aargau zulassen, sprich neben Radio Argovia einen zweiten kommerziellen Sender bewilligen. Aber daran hat die SRG ja auch nicht das geringste Interesse.

  • #4

    Maurice Velati (Samstag, 09 Dezember 2017 14:33)

    Lieber Oliver
    natürlich könnte "man" das. Das wäre dann das Bakom. Allerdings ist die Zahl der UKW-Frequenzen beschränkt - deshalb vergeben die Behörden da Konzessionen. Die SRG hat mit diesen regulatorischen Dingen aber nix zu tun.

    Auf DAB+ gibt es übrigens mit Radio Inside (Zofingen) tatsächlich eine (kleine) private Konkurrenz, die auch mit (v.a. lokalen) News arbeitet.

    Die Frage wäre noch: Will bzw. kann überhaupt jemand ein privates Angebot in einem regionalen Markt anbieten, welches tatsächlich noch ausführliche(re)n Radiojournalismus bietet? Ich befürchte nein. Denn die Kosten (und ich weiss ziemlich genau, was das kostet) sind hoch. Ich bezweifle, dass so etwas kommerziell refinanzierbar ist.

  • #5

    Agron Bajraj (Samstag, 27 Januar 2018 08:32)

    Vor allem früher hab ich Radio Argovia für die Energie und Einzigartigkeit geschätzt. Es war für mich DAS Radio meines Heimatkantons und ich war immer Stolz und glücklich, wann immer ich diesen Sender hören konnte. All das war einmal. Ich beobachte die Entwicklung mit bedauern. Ich finde es sehr schade, dass dem Verlag scheinbar der Willen oder sogar die Mittel fehlen, wieder mutiger und lebendiger zu sein und ihre Radiostationen so angleichen und den Standort Aarau schwächen.

    In Radio Argovia sehe ich seit der Programmfusion vom Wochenende ehrlich gesagt auch nur noch ein Radio aus dem Kanton Zürich. Für Nationale Nachrichten mag es sicher von Vorteil sein, wenn man auf diese Weise Kosten sparen kann. Allerdings bezweifle ich sehr ob das den gewünschten Effekt bringen wird weiterhin als regionaler Sender verankert zu bleiben. Ich befürchte, dass wir irgendwann nur noch ein zentral in Zürich produziertes Programm hören werden.

    Daher weiss ich immer mehr die Berichterstattung und die abendlichen Sendungen von SRF1 zu schätzen, da hier noch live und leidenschaftlich Radio gemacht wird. Es werden Themen genauer beleuchtet und auch hinterfragt. Hier merkt man, dass nicht nach einem strikten Verkaufsprogramm für Quote gesorgt werden muss.

    In meinen Augen müssten Radio 24 und vor allem Radio Argovia verstärkt wieder etwas natürlicher werden und nicht mehr so krampfhaft auf gute Laune versuchen die Leute bei Laune zu halten mit einer engen Rotation an Musik. Wieder mehr eigene Aktionen, Gespräche und Themen aus der eigenen Region aufgreifen um auch als Lokalsender wahrgenommen zu werden.

    Bleibt zu hoffen, dass sich die Entwicklung bald wieder zugunsten der Vielfalt kehren wird. Weil mir scheint, als hätte die AZ Gruppe angst davor, nicht mehr rentabel zu sein.