Transparenz und Ehrlichkeit zumuten

Faktencheck gegen Fake News: Wäre Transparenz nicht die bessere Lösung?
iwona golczyk / pixelio.de

«Faktencheck» heisst die heisseste Medienmode im Moment. Aber können Journalist/innen damit wirklich das Vertrauen des Publikums (wieder) gewinnen? Oft ist der Begriff eigentlich Augenwischerei. Langfristig braucht es vor allem Transparenz über unsere Arbeit, glaube ich. Auch wenn diese Transparenz manchmal ratlos macht.

Dieser Blogbeitrag ist völlig frei von recherchierten Fakten. Ich berichte aus meinen Erinnerungen, aus meinen Eindrücken der vergangenen Tage und Wochen. Es ist kein journalistischer Text. Damit das gleich mal geklärt ist.

 

Mein Eindruck: Immer mehr Medienangebote setzen auf das Format «Faktencheck». Immer öfter werden - zum Teil in beeindruckender Geschwindigkeit - Reden oder Diskussionen von Journalisten analysiert und auf die Faktentreue der beteiligten Personen geprüft. Journalisten bemühen sich also um Wahrheit, korrigieren sogenannte «Fake News». Das ist ein löbliches Engagement, wie ich meine. Aber ist es zielführend?

 

Natürlich denke ich persönlich: «Nein». Sonst würde ich ja diesen Artikel nicht schreiben.

 

Es gibt oft keine Wahrheit

Klar, es gibt unbestreitbare Fakten. Im Kanton Aargau gibt es zum Beispiel fünf Regierungsräte. Unbestreitbar. Aber allzu oft ist es gar nicht so einfach mit der Wahrheit. «Die Anstalt», eine Satiresendung im ZDF, hat das in ihrer Ausgabe vom 7. Februar sehr schön auf den Punkt gebracht.

 

Wahrheit ist oft eine Frage der Perspektive. Sie kennen den Spruch vom halbleeren oder halbvollen Glas. Die Wahrheit liegt im Auge des Betrachters. Gibt es viele Ausländer in der Schweiz? Ja, wenn man es mit anderen Ländern vergleicht. Nein, wenn man es mit anderen anderen Ländern vergleicht. Vielleicht nein, wenn man bedenkt, dass andere Länder offensiver einbürgern.

 

Kurz: Die Frage lässt sich nicht eindeutig beantworten. Nicht mit einem absoluten Anspruch auf Wahrheit.

 

Sind die Fakten wirklich «gecheckt»?

Erstaunlich ist auch, in wie kurzer Zeit gewisse Journalisten die «Fakten checken». Und mit welchen Quellen sie ihre Instant-Recherche dann belegen. Da liest man (nein, ich habe keinen Beleg dafür, den ich hier verlinken kann, sorry...) dann, eine Aussage stimme wohl nicht, weil eine andere Zeitung vor drei Jahren mal etwas ganz anderes geschrieben habe.

 

Ist das ein Faktencheck? Nein! Es ist lediglich ein Hinweis darauf, dass man die Sache wohl auch anders sehen könnte. Aber die Fakten des damaligen Artikels hat der Instant-Rechercheur natürlich nicht auch noch gecheckt... Wenn der «Faktencheck» mit einer kurzen Recherche bei Google oder in der Mediendatenbank abgeschlossen ist, dann ist er Augenwischerei. Das ist zumindest meine ganz persönliche Meinung.

 

Die Alternative: Transparenz!

Natürlich müssen wir Journalisten versuchen, uns einer Wahrheit zumindest anzunähern. Und natürlich funktioniert das nur über fundierte Recherche. Zwei voneinander unabhängige Quellen sind das Minimum, Gegenrede gewährleistet etc.

 

Aber seien wir ehrlich: Ab und an wissen wir als Journalist/innen einfach nicht, ob eine Aussage in ihrer vorliegenden Form zu 100 Prozent nachweisbar ist. Ab und an müssen wir resigniert eingestehen, dass wir nicht abschliessend beurteilen können, wer in einer Streitfrage wirklich recht hat.

 

Das sollten wir dem Publikum sagen, finde ich. Transparent machen, wie wir recherchiert haben. Aber auch transparent machen, wo unsere Recherche an ihre Grenzen stiess oder beendet werden musste. Transparent machen, dass wir keine absolute Wahrheit bieten können. Keinen wirklich seriösen «Faktencheck».

 

Dazu gehört auch und vor allem Quellentransparenz. Sagen, woher wir die Zahlen haben. Sagen, wer uns die Zusammenhänge erklärte. Denn die Quelle einer Information sagt oft mehr aus über die Information als diese selbst.

 

Ich verweise gerne wieder auf die «Anstalt» im ZDF: Wenn russische Medien von über 3000 Panzern an der Nato-Ostgrenze sprechen und die amerikanische Seite von weniger als 100... dann weiss man nicht, wie viele es wirklich sind. Denn wir wissen, dass beide Seiten lügen könnten. Weil beide Seiten einen Grund dazu haben könnten.

 

Es braucht Mut und Bescheidenheit

Also: Sagen wir unserem Publikum, wie es ist. Dass wir die «Wahrheit» nicht kennen, weil die Quellen nur mässig glaubwürdig sind. Das braucht Mut. Denn natürlich ist es für das Publikum eine Zumutung, wenn wir ihm erklären, dass die Welt nicht ganz so einfach ist. Dass es in vielen Fragen nicht nur schwarz und weiss gibt. Es braucht Mut, das Publikum mit dieser vielleicht einzigen, aber sehr unbefriedigenden Wahrheit zu konfrontieren.

 

Und es braucht Bescheidenheit. Es ist in Zeiten von Internet und Blogs und Google für unser Publikum einfach zu einfach, eine Information mit irgend einer Quelle zu widerlegen. Also müssen wir (früher gefühlt) «allwissenden» Journalist/innen nun zugeben, dass wir doch nicht alles wissen. Wir Journalisten sollten öfter sagen, dass wir es nicht wissen, erklärte Jochen Wegner (Zeit Online) kürzlich.

 

Ich wollte genau diesen Satz hier in diesem Blog schreiben, schon bevor ich die Rede von Wegner gelesen habe. Das heisst: Zwei voneinander unabhängige Journalisten haben offenbar das gleiche gedacht.

 

Das muss dann wohl die Wahrheit sein...

 


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Kommentare: 1
  • #1

    Schiesser (Mittwoch, 15 Februar 2017 07:40)

    Vielen Dank für diese Offenheit. Genau dieser (gefühlte) Anspruch der Medien der Allwissenheit stört mich. Dann noch die Sensationsgier aus verkaufstechnischen Gründen und schon sind wir, wo wir heute sind.
    Aufgabe der Medien aus meiner Sicht ist es, mich zu informieren. Information dass es mehrere Möglichkeuten geben kann und es nicht abschliessend recherchierbar sei - Transparenz genannt von Dir - hilft mir als Leser/Zuhörer meine Meinung zu bilden.