Differenzieren statt duellieren, bitte!

Das politische Klima verroht, die Fronten verhärten. Hört man immer wieder. Gerade in unserem nördlichen Nachbarland (aber auch in der Schweiz) fragen sich viele, warum extreme(re) politische Positionen (wieder fast) mehrheitsfähig werden.

Und dann schaue ich einen Abend lang Fernsehen und erkenne, dass die Medien dabei wohl eine wichtige Rolle spielen. Ein persönliches Plädoyer für mehr Dokumentationen und weniger Talkshows.

Mittelalterliches Duell
Bild: Ben_Kerckx/Pixabay

Es war einer dieser wenigen mehr oder minder gemütlichen Fernsehabende, die ich mir ab und zu gönne. Ich schaue einen Film, dann zappe ich durch das Programm und bleibe bei ARD und ZDF hängen. Das passiert mir öfter, denn ich schätze das öffentlich-rechtliche Programm der deutschen Kolleginnen und Kollegen grundsätzlich sehr. Das ist vielleicht wichtig als Einleitung, denn es folgen auch durchaus kritische Anmerkungen.

 

Und noch eine Vorbemerkung: Ich habe zuerst linear geschaut, dann zeitversetzt. Das erklärt, weshalb die Sendungen, die ich nachfolgend erwähne, in der «falschen» Reihenfolge kommen... im linearen Fernsehprogramm waren sie genau umgekehrt programmiert.

 

Bellen, Brüllen, beissen

Bei «Maischberger» im Ersten diskutieren sie über Rassismus. Es geht um den Schalke-Boss Clemens Tönnies, der sich zum Thema «Afrika» geäussert hat. Die Frage: War seine Äusserung rassistisch, ja oder nein? Ohne die ganze Geschichte (die viele Leserinnen und Leser ja wohl kennen, weil solche Debatten aus Deutschland ja unweigerlich auch bei uns öffentlich wahrnehmbar werden) zu wiederholen: Man könnte durchaus spannende Aspekte diskutieren.

 

Zum Beispiel den Ursachen auf den Grund gehen, weshalb gewisse Stereotype bezüglich des südlichen Kontinents bei uns so stark verhaftet sind, wohl auch bei mir. Und ob mehr oder minder gedankenlos (ich kann das nicht beurteilen) geäusserte Stereotype eben als Rassismus bezeichnet werden müssen, damit sie verschwinden - oder ob es dazu andere Massnahmen braucht. Einen aus meiner Sicht durchaus spannenden Artikel dazu gibt es übrigens in der Frankfurter Rundschau, die aber - das sei hier deklariert - als eher linke Zeitung gilt. Der Artikel ist etwas lang, man muss ihn also lesen wollen. Und da sind wir auch schon beim wunden Punkt vielleicht.

 

Bei «Maischberger» jedenfalls zappe ich in die Diskussion, als gerade zwei sich inhaltlich offensichtlich spinnefeind gegenüberstehende Kontrahenten verbal auf den Kopf schlagen, kaum zu bändigen von der durchaus souveränen Moderatorin. Dabei sprechen die beiden nicht etwa über das gleiche Thema oder gehen gegenseitig auf ihre Argumente ein. Nein, sie versuchen krampfhaft, mit lauter werdender Stimme und trotz Ermahnungen durch die Moderatorin ihre offensichtlich längst formulierten und zur öffentlichen Publikation vorbereiteten «Kernaussagen» zu platzieren. Es ist keine Diskussion, es ist ein verbales Duell, ein Schwertkampf mit Worten. Sie kennen das wahrscheinlich aus anderen politischen Talkshows.

 

Ich nerve mich über die Debatte. Ich möchte mehr erfahren über die bisher von mir kaum verfolgte Diskussion, über die Hintergründe. Ich möchte verstehen, weshalb diese Debatte so leidenschaftlich geführt wird, welche Motive die beiden Kontrahenten haben. Ich möchte verstehen, aber werde nur angebrüllt, indirekt durch die Lautsprecher meines TV-Geräts. Erkenntnisgewinn? Null. Aber in meiner persönlichen Meinung werde ich durchaus bestärkt, weil ich den (nicht wirklich diskutierten, sondern schreiend im Monolog vorgetragenen) Argumenten «meiner Seite» wenigstens folgen konnte. Schliesslich breche ich ab. Schalte um. Und spüre - was wirklich nicht das Ziel sein kann an einem gemütlichen Fernsehabend - sogar etwas Wut im Bauch.

 

Dranbleiben, diskutieren, differenzieren

Beim ZDF entdecke ich kurz darauf eine Dokumentation zu den bevorstehenden Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen. Ein Reporter hat sich in sozialen Medien unter dem Hashtag #wasmichimostenstoert an die Bevölkerung der neuen Bundesländer gerichtet und sie nach ihrer Meinung gefragt. Dann ist er in den Osten gereist und hat einige von ihnen persönlich getroffen und gefilmt.

 

Das Format ist nicht neu. Reportage vor Ort, mit den Leuten von der Strasse sprechen. Das sollten wir Journalistinnen und Journalisten ja eigentlich immer mal wieder tun. Aber der Effekt (und ja, ich finde die Dokumentation auch handwerklich wirklich gut gemacht) ist verblüffend. Da kommen Menschen aller politischer Couleur zu Wort, mit ihren persönlichen Ansichten, aber kritisch befragt und damit reflektiert. Da wird die ganze Vielfalt der (auch) im Osten vorhandenen Meinungen aufgezeigt. Die eine nervt sich über die Rassisten im Ort, der andere nervt sich darüber, dass er als Rassist bezeichnet wird. Der eine nervt sich über die fehlenden Gelder für die Infrastruktur und die mangelnde Unterstützung aus Berlin, der andere kritisiert die wenig eigenverantwortliche Mentalität seiner Mitmenschen und deren ewiges Genörgel.

 

Da werden unterschiedliche Standpunkte sauber erkennbar herausgearbeitet. Ich höre Argumente dafür und dagegen und kann sie in aller Ruhe abwägen. Ich merke plötzlich, dass ich meine eigene Vorstellung zu diesem «Osten» wohl revidieren muss. Und der ZDF-Reporter selbst erkennt im Laufe des Films, dass der ältere AfD-Wähler (und Medienskeptiker) und die junge, linke Lehrerin zumindest in einem Punkt völlig übereinstimmen: Sie fühlen sich als «Ossis» von den Westdeutschen nicht ernst genommen, als Bürger zweiter Klasse. Der Film zeigt Gemeinsamkeiten im Konflikt auf. Und zum Schluss fordert der Reporter sogar explizit zur Versöhnung auf.

 

 

Und jetzt? Eigentlich brauche ich diese Beobachtung kaum mehr zu kommentieren. Wer die politische Spaltung vorantreiben will, der fokussiert auf laute, kontoverse Debatten. Wer sich für eine funktionierende Demokratie engagiert, der wählt leisere Töne, differenziertere Bilder. Und lässt die Menschen so sprechen, dass sie einander zuhören können und müssen.

 

Journalistinnen und Journalisten haben - das wurde und wird immer wieder betont - eine wichtige Funktion innerhalb einer Demokratie. Wenn wir diese Funktion ernst nehmen wollen, dann müssen wir vielleicht auf gewisse Formate verzichten und andere (wieder) fördern. Funktioniert vielleicht sogar innerhalb von Talkshows, wenn man die richtigen Gäste einlädt und die Spielregeln verändert. Kurz: Weniger Gebrüll, mehr Nachdenken. Bringt (vielleicht) weniger Quote, aber mehr Qualität. Kostet mehr, hilft aber besser. 

 

Ich weiss nicht, ob Fernsehstationen und Medienhäuser diese Verantwortung wahrnehmen können und wollen. Für mich persönlich ist klar: Ich zappe künftig sofort weiter, wenn eine Talkshow läuft. Und suche mir - zum Glück gibt es inzwischen ja prall gefüllte Mediatheken - lieber eine gescheite Dokumentation aus. 

 


Disclaimer

  • Ich bin Redaktionsleiter der SRF-Regionalredaktion Aargau Solothurn (siehe Biografie)
  • Dieser Artikel ist meine ganz persönliche Ansicht. Er wurde aus persönlichem Antrieb und ohne Absprache mit Unternehmen oder Verein SRG verfasst und publiziert. 
  • Selbstverständlich wurde dieser Text (und auch alle anderen Texte in diesem Blog) nicht während der Arbeitszeit, sondern in der Freizeit bzw. in den Ferien geschrieben. Diese Gedanken kosten die Gebührenzahlenden also nichts.

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