Preise und Ehrungen: Es braucht keine Journalist:in des Jahres, sondern eine Redaktion des Jahres!

Jedes Jahr freuen sich unzählige Journalistinnen und Journalisten über eine Nomination für den Titel «Journalist:in des Jahres». Und jedes Jahr folgt auch die obligatorische Kritik an dieser etwas seltsamen Ehrung. Auch ich kritisiere in diesem Blog-Beitrag die Ehrung. Aber nicht nur wegen ihrer offensichtlichen Tücken in der Umsetzung. Denn Journalismus ist immer und vor allem Team-Arbeit. Das wird aus meiner Sicht bei (fast) allen Journalismus-Preisen zu wenig berücksichtigt.

Journalistin des Jahres: Solche Preise braucht die Medienwelt gar nicht, heisst es im Blog von Maurice Velati
Bild: Maurice Velati

Vorweg: Vielleicht ist es ja nur Neid. Ich wurde nämlich nicht nominiert für den diesjährigen Titel «Journalist:in des Jahres» des Branchenmagazins. Und dies, obwohl die Nominierung eigentlich keine Hexerei sein dürfte, da die Auswahl ein Stück weit zufällig daherkommt, wie Kollegin Fabienne Kinzelmann-Opel in einem LinkedIn-Post zeigte.

 

Also: Das Motiv für diesen Blog-Beitrag könnte Neid sein. Aber mich nerven Medienpreise eigentlich schon lange. Obwohl ich selbst doppelter Preisträger des Medienpreises Aargau/Solothurn in der Kategorie Radio bin und auch einmal für den Swiss Press Award nominiert war. Beides Medienpreise, für die man sich bewerben muss. Das hatte ich getan. Und mich gleichzeitig immer ein bisschen schäbig gefühlt dabei.

 

Denn eigentlich sollten doch andere beurteilen, welche Arbeit vielleicht besonders gut ausgefallen ist oder eine Ehrung verdient. Zudem hatte ich meine Preise nie für grosse Recherchen gewonnen, sondern immer «nur» für solides Handwerk, allenfalls die formal besonders gelungene Gestaltung. Vielleicht habe ich diese Preise tatsächlich gar nicht verdient.

 

Preise nach dem Zufallsprinzip

Solche Ehrungen haben einen zufälligen Charakter. Niemand kennt alle Journalistinnen und Journalisten der Schweiz, geschweige denn alle ihre Arbeiten. Wen also nominieren? So werden die Preise halt irgendwie «ausgeschrieben» und die Stifterinnen und Veranstalter warten dann auf gute Rückmeldungen. Auf Leute, die sich selbst gern ins Rampenlicht stellen oder auf Kolleginnen und Kollegen, die jemanden dafür empfehlen möchten.

 

Die Wahl selbst unterliegt dann erneut mehr oder weniger dem Zufall. Wie das System funktioniert, das zeigen Posts von einigen Kolleginnen und Kollegen in sozialen Medien mit dem Aufruf, man solle ihnen doch bitte eine Stimme geben. Es gewinnen vielleicht also diejenigen, welche am besten mobilisieren können. Zumindest dann, wenn es wirklich keine branchenweit bekannten und herausragenden Leistungen zu vermelden gibt.

 

Ich enthalte mich meiner Stimme, obwohl ich den Link zur Wahl ebenfalls erhalten habe. Denn ich kenne leider kaum jemanden auf dieser Liste, geschweige denn deren fachlichen Qualitäten. Sogar im Bereich Regionaljournalismus (mein Arbeitsfeld hauptsächlich) kenne ich nur diejenigen Namen, welche in «meiner» Region tätig sind... eine Wahl mit gutem Gewissen ist für mich unmöglich. 

 

Das sind die grundsätzlichen Kritikpunkte an solchen Preisverleihungen. Diese Problematik gilt nicht nur für Journalist:innen-Preise, sondern auch für viele andere der unzähligen ständig verliehenen Ehrungen landauf landab. Aber ich sehe spezifisch im Journalismus noch ein anderes Problem, über das ich hier ja eigentlich schreiben wollte...

 

Auch Könige haben einen Hofstaat

Es gibt nämlich keinen einzigen Artikel und keine einzige Sendung, die von einer Journalistin oder einem Journalisten allein produziert wird. In jedem Medienhaus gibt es unzählige Funktionen und damit Menschen, welche gemeinsam an den Produkten arbeiten. In Zeiten von multimedialen Newsrooms gilt diese Binsenwahrheit erst recht: Inhalte werden zum Teil von ganzen Teams recherchiert und dann von unzähligen Expert:innen für die verschiedenen Kanäle zielgruppen- und formatgerecht aufbereitet. 

 

Immer schon gab es neben den Journalistinnen und Moderatoren im Vordergrund unzählige Menschen, die im Hintergrund zum Gelingen von journalistischer Berichterstattung beigetragen haben. Kameraleute, Fotografen und Regisseurinnen, Produzentinnen und Korrektorate, Chefin vom Dienst oder Blattmacher, Themenplaner und Inputerinnen... die Liste liesse sich wohl endlos weiterführen. Sie alle tragen einen wichtigen Teil dazu bei, dass ein journalistisches Produkt - ein einzelner Artikel oder eine ganze Zeitung - so ist, wie es ist.

 

Kurzum: Journalismus ist Teamwork. Die Auszeichnung einer einzelnen Person als «Journalist:in des Jahres» wirkt vor diesem Hintergrund schon etwas absurd. (Klammerbemerkung: Natürlich kenne ich das Phänomen der «Personalisierung», welches gerade wir Journalistinnen und Journalisten stark prägen, wenn zum Beispiel Bundesrat Alain Berset mit dem Bundesamt für Gesundheit und dem Gesamtbundesrat gleichgesetzt wird... und ja, auch der Friedensnobelpreis geht jeweils an einen einzelnen Kopf, obwohl es natürlich ganze Organisationen sind, denen die ausgezeichneten Verdienste zu verdanken sind.)

 

Journalistin des Jahres: Solche Preise braucht die Medienwelt gar nicht, heisst es im Blog von Maurice Velati
Medienmanager:innen des Jahres werden ebenfalls gewählt. Aber auch hier sind es Einzelpersonen. (Bild: Maurice Velati)

Wählt das Journalismus-Team des Jahres!

Viel näher an der alltäglichen Realität wäre doch, wenn wir nun ein «Medien-Team» oder eine «Redaktion des Jahres» wählen könnten. Den «News-Desk» mit den schnellsten und faktentreusten Push-Nachrichten oder die erfolgreichste Investigativ-Redaktion. Die innovativste Regionalzeitung oder die mutigste Wirtschaftsredaktion. Vielleicht sogar das «App-Entwicklungsteam» des Jahres oder die beste «Arbeitsgruppe für Chancengleichheit»? Auch solche Gremien sind schliesslich an der Qualität von journalistischen Produkten massgeblich beteiligt.

 

Es ist ja eigentlich toll, wenn Auszeichnungen für Medien dem breiten Publikum zeigen, dass Journalismus weiterhin und immer mehr eine unverzichtbare Dienstleistung für eine funktionierende Gesellschaft ist. Es ist zu begrüssen, wenn herausragende Leistungen im Journalismus honoriert werden - nicht nur durch das Interesse des Publikums, sondern auch durch ausserordentliche Anerkennung im Rahmen solcher Preisverleihungen. 

 

Besser als die bisher vor allem praktizierte Selbstbeweihräucherung der eigenen Branche mit eher zufällig funktionierenden Ratings wäre eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den grossen Themen des ablaufenden Jahres und einer seriösen Recherche nach denjenigen Teams, die dabei besonders viel für qualitativ gute journalistische Berichterstattung geleistet haben. 

 

Aber: Trotzdem vielen Dank!

Im Wissen, dass das alles hier schnell niedergeschrieben ist, aber in der Umsetzung einen wahrscheinlich viel grösseren Aufwand generieren würde als die bisherigen Preisverleihungen es schon tun, bin ich natürlich trotzdem froh darum, dass es überhaupt noch Preise für Journalist:innen gibt.

 

Und ja, im nächsten Jahr muss ich mich wahrscheinlich mal darum bemühen, den Vorgang der Nominationen besser zu verstehen. Ich wüsste da nämlich schon noch die eine oder andere Person aus meiner Redaktion, welche eine Auszeichnung durchaus verdient hätte... 

 


DISCLAIMER

  • Ich bin Redaktionsleiter der SRF-Regionalredaktion Aargau Solothurn (siehe Biografie)
  • Dieser Artikel ist meine ganz persönliche Ansicht. Er wurde aus persönlichem Antrieb und ohne inhaltliche Absprache mit meinem Unternehmen verfasst
  • Für diesen Artikel wurde keine Arbeitszeit aufgewendet, er ist in meiner Freizeit entstanden

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Kommentare: 3
  • #1

    Sandro S. Aeschbach (Donnerstag, 24 November 2022 16:17)

    Guet gschrebe Möru �

  • #2

    Manfred Joss (Freitag, 25 November 2022 19:40)

    Stimmt vollkommen.
    Ich habe zwar in ein paar Kategorien abgestimmt, aber kennt im Ernst jemand all die Nominierten und deren Arbeit? Deren Zeitbudget möchte ich haben�

  • #3

    Reinsapoprock (Donnerstag, 31 August 2023 20:07)

    Das stimmt! Uns haben die auch vergessen ;)